Container haben die Welt revolutioniert.

Was elektronische Medien auf der Ebene der Information bewirken, vollbringen die Netzwerke des Transports im Austausch materieller Güter: Sie verschalten die entferntesten Gegenden der Erde zu einem globalen Dorf.

Doch das Prinzip Containerisierung betrifft nicht nur dieses relativ umgrenzte Gebiet der Verkehrs- und Warenströme. Es hat längst Einzug in die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereiche gehalten – ob als Fernsehformat, als psychologisches Modell sozialer Interaktion oder als realer Ort für so unterschiedliche Nutzungen wie Universität, Sparkasse, Asylantenwohnheim, Kindertagesstätte, Bauleitung oder Brillengeschäft.

Der universelle Behälter ist allgegenwärtig.

Wir leben im Zeitalter des Containers.

Das Containersystem ist Ding und Un-Ding zugleich – eminent wirkungsmächtig und doch phänomenologisch kaum zu fassen: Als stählerne Kiste liegt der Container im Zuständigkeitsbereich von Maschinenbauern und Ingenieuren. Sein für den überragenden Erfolg als Transportsystem fundamentaler Prozess der Standardisierung greift jedoch über in politische, juristische und ökonomische Zusammenhänge. Die Frage der neuen gesellschaftlichen Räume, die durch seine Verwendung als mobile modulare Geschäfts- und Wohneinheit aufgeworfen wird, betrifft Architektur, Sozial- und Kulturwissenschaft genauso wie Wohnungsbauämter, Stadtplanung und Sozialpolitik. Die Funktionsweise des Containers im globalen Güterverkehr schließlich, als universelle, prozessierende, ihren Inhalten gegenüber indifferente Transporteinheit, deren „Signifikanz“ sich ausschließlich über Beschriftung und immer nur temporär herstellt, scheint ihn für eine Art strukturaler Analyse zu prädestinieren und rückt ihn ein in den Untersuchungshorizont von Philosophie und Medienwissenschaft.

Es gibt nichts Signifikantes am Container. Weder architektonische Elemente noch kulturell differenzierende Applikationen. Sein Äußeres verrät nichts über sein Inneres, es sei denn durch zusätzlich angebrachte Zeichen. Indem er sich immer gleich bleibt, ist er in der Lage, sich jeder konkreten Situation anzupassen. Seine A-Signifikanz, seine A-Lokalität, seine Abgeschlossenheit und seine Uniformität machen ihn suspekt. Der Container ist unheimlich im Freudschen wie im Heideggerschen Sinne: Er bringt in unerbittlicher, penetrant präziser Wiederholung das bodenlose Fundament einer Welt zu Tage, die im Zeichen der Ware steht. Er verbreitet eine Aura der Ort- und Beziehungslosigkeit. Ebenso gut wie er hier steht, könnte er überall anders stehen. Ebenso gut wie er dieses enthält, könnte er alles andere enthalten. Seine radikal dislozierte Seinsweise verunmöglicht jedes Heimischwerden.

Der Container untergräbt Metaphysik und Bauordnungen: Containersiedlungen gelten nicht als Architektur, deshalb können sie überall im öffentlichen Raum platziert werden. Kaum eine Straße und kaum ein Platz ist in den letzten Jahren von diesem Unding verschont geblieben. „Der Container wird die Zufälligkeit von allem Möglichen, womit er beladen wird, nicht los. Er kann nicht behalten, was wichtig und wesentlich ist. Denn er behält alles nur vorübergehend." (Hannes Böhringer). Nicht zufällig haben die Populärkultur und einige ihrer hoch-kulturellen Verlängerungen in den letzten Jahren eine gewisse Vorliebe für den Container entwickelt. So wurde er zum Mittelpunkt provokanter theatraler Inszenierungen (Christoph Schlingensief, René Pollesch), Gegenstand avantgardistischer Architekturkonzepte (z.B. Office of Mobile Design, Lot-ek), sowie zum Austragungsort zeitgenössischer Kunst (z.B. Art Basel Miami, Buga 05 München) und experimenteller Fernsehformate (Big Brother). Im Container scheinen genau diejenigen Tendenzen zu kulminieren, die das Unbehagen gegenüber unserer heutigen Kultur auslösen: gesteigerte Mobilität sowohl in räumlicher als auch in funktionaler Hinsicht, die mit inhaltlicher Beliebigkeit korrespondiert. Der Container - Produktionsstätte zwangsnomadischer, metaphysisch unbehauster Individuen.

Nicht zufällig sind Flüchtlinge, illegale Arbeiter, Kriegsgefangene und mediengesellschaftliche „Versuchskaninchenmenschen“ die prominentesten Insassen der ubiquitären Un-Architektur der Container. Die Containerisierung, d.h. der Prozess, in dem die Welt mit einem standardisierten System des Umgangs mit Dingen (und Menschen) überzogen wurde, dessen Kernstück der Container bildet, ist ein Dispositiv (Michel Foucault), ein komplexes Gefüge aus politischen, juridischen, ökonomischen, ideologischen und technologischen Komponenten. Dessen Möglichkeitsbedingungen und Entwicklungslinien gilt es zu verdeutlichen und unter dem Aspekt der umwälzenden biopolitischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts zu betrachten. Als leere, d.h. asignifikante Form inszeniert der Container die strukturelle Gewalt des Kapitalismus, die darin besteht, alles und jeden zur Ware zu transformieren und im gleichen Zuge, alle anderen Attribute irrelevant zu machen (Karl Marx, Walter Benjamin). Er nivelliert die Dinge, indem er sie seinem Auftrag gemäß als Material umhüllt. Sein indifferentes Hülle-Sein raubt ihnen jede Signifikanz. Man könnte auch sagen, er beraubt sie ihrer Rechte als Angehörige einer bestimmten Gattung, Gruppe etc. Deswegen findet im Container als nacktem Behälter das nackte Leben des Flüchtlings seine ideale Umhüllung: Er ist eine Behausung für Rechtlose, für homines sacres (Giorgio Agamben), für Menschen im Ausnahmezustand, wie die gefangenen Talibankämpfer, die während des jüngsten Afghanistankrieges im Container durch die Wüste zu Tode „transportiert“ wurden.

Ohne den Container gäbe es nicht die Globalisierung (zumindest nicht das, was wir heute darunter verstehen: die weltweite Wirkungsmacht eines mehr oder weniger entfesselten kapitalistischen Marktes). Die Geschwindigkeit der Verkehrsmittel und Telekommunikationsmedien mag die verschiedenen Regionen der Erde zu einer einzigen Welt verbunden haben. Doch die universelle Verteilung von Waren übernimmt der Container: In einem Welt umspannenden, (nahezu) fugenlosen Verkehrsverbund aus Wasser-, Land- und Luftbeförderungsmitteln wird er zum Transport jedes erdenklichen Guts eingesetzt. Tatsächlich lassen sich die Quellen der Containerisierung/Globalisierung bis in das Altertum zurückverfolgen. Im Containersystem bündelt sich jedoch die Entwicklung der Transport- und Kommunikationsmedien mit der der Technologien der Produktion. Die Geschichte der Behälter, angefangen bei Fass und Truhe, ist für seine Untersuchung ebenso relevant wie die Ordnung der Fabrik und die verschiedenen nationalen Bestimmungen über die zulässigen Höchstmaße im Straßen- und Schienenverkehr. Schließlich muss eine derartige Untersuchung auch die Auswirkungen auf die organische Substanz und die menschliche Umgebung zum Gegenstand machen. Denn in beiden hat der Welt umspannende Güterverkehr mittels Containern tiefe Veränderungen bewirkt. Man denke an die biotechnologische Entwicklung besonders transportfähiger Lebensmittel mittels Genmanipulation und an die nahezu unbeschränkte Verfügbarkeit nahezu jeden Gutes aus der ganzen Welt, die zu einer nachhaltigen Zerrüttung dessen führte, was wir als lokale Kulturen zu bezeichnen gewohnt waren.

Der Container agiert in der Welt des Gegenständlichen als Agent einer Logik der Warenwirtschaft, die alle ihre Objekte so weit wie möglich als bloß virtuelle registriert und prozessiert. Hatten Geld und Statistik diese Veränderung am ontologischen Status ihrer Referenten auf der Seite der Registratur bereits seit Jahrhunderten vorzunehmen begonnen, so blieben die Waren als unterschiedlich zu behandelnde Dinge doch widerständig: Neben der Logik der Zahlen/Warenströme existierte eine Welt der Gegenstände, die, obschon Waren, doch ihre je eigenen Gesetze nach Maßgabe ihrer je eigenen spezifischen Qualitäten (und ihren je eigenen spezifischen Behältern) hervor brachten. Dieser Autonomie setzte erst das Auftauchen des Containers ein Ende. Er reduziert den Bereich der Eigentlichkeit der Gegenstände radikal auf die Stätten ihrer Herstellung. Dazwischen herrscht nun unumschränkt eine Logik des Strömens: Cashflow und Containerflow. Selbst der im Zeitalter der Industrialisierung so viel beachtete Unfall vermag diese Ordnung der (Waren)Ströme nicht mehr zu durchbrechen. Seine Rückbindung an den Herstellungs- und Funktionserhaltungsprozess als Regulativ betrifft in der Regel nur die Produktion von Geschwindigkeit, also das Transportmedium. Die spezifische Eigenart der transportierten Ware kommt dagegen nur in dem Sonderfall zum Tragen, wenn sie als Gefahrgut droht, die Umwelt der Unfallstelle zu verseuchen. Ansonsten verschwindet ihr Verlust in Zahlenreihen. (So wie der Inhalt der Tausende von Containern, die jährlich in den schweren Stürmen auf den Weltmeeren über Bord gehen, in der Weite der Ozeane. Schätzungen zufolge, werden weltweit jedes Jahr rund 10000 Container über Bord gespült. Wobei die oft knapp unter der Oberfläche treibenden Container als maritime Wiedergänger in der Art von Seeminen weiter ihre Wirksamkeit entfalten.)

Containerforschung = Archäologie der Globalisierung

Die Website www.containerwelt.info ist Teil eines medienwissenschaftlichen Forschungsprojekts, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, die weitreichenden Auswirkungen des Prinzips Containerisierung mit wissenschaftlichen und künstlerischen Mitteln zu untersuchen. Indem es die materiellen Komponenten eines allgegenwärtigen, aber weithin übersehenen technischen Systems in den Blick nimmt, versteht sich das Projekt als eine Art gegenwartsarchäologischer Untersuchung.

Seine institutionelle Heimat hat es in dem Graduiertenkolleg "Mediale Historiographien" (www.mediale-historiographien.de) gefunden, wo es als Doktorarbeit unter dem (Arbeits-)Titel "20 Fuß Äquivalent Einheit. Die Herrschaft der Containerisierung" bei Professor Bernhard Siegert bearbeitet wird. Bernhard Siegert ist Inhaber des Lehrstuhls für Geschichte und Theorie der Kulturtechniken im Fachbereich Medien der Bauhaus-Universität Weimar, der sich in einem Schwerpunkt der "material culture" von Medien in kulturellen Prozessen widmet (www.uni-weimar.de/medien/kulturtechniken).
Zweitgutachter ist Professor David Gugerli (www.tg.ethz.ch/forschung/mitarbeiter/DavidGugerli.htm). Die von ihm selber betriebenen und die durch ihn geförderten technikgeschichtlichen Forschungen an seinem Lehrstuhls an der ETH Zürich ergänzen sich ideal mit kultur- und medienwissenschaftlichen Fragestellungen.

Das Herz der Website bildet eine dokumentarische Fotoserie, die den gestrandeten und zweckentfremdeten Container als (temporären) Ort sozialer Nutzungen überall dort aufspürt, wo er sich in den letzten Jahren breit macht: an Baustellen, in den Peripherien der Städte, in "strukturschwachen", sprich: armen, Regionen, in Gegenden, die sich im Übergang befinden. Daneben lassen sich auf einer Seite komprimierte Quicktime-Versionen "strukturaler" Container(schiff)videoclips und anderer Videos ansehen, die im Rahmen des Projekts entstanden sind, sowie Containerschiffsounds, die ich bei meiner Reise mit einem Containerschiff im Sommer 2001 aufgenommen habe. Desweiteren macht die Website vorläufige Ergebnisse meiner wissenschaftlichen Forschung zugänglich, von Vortragsmanuskripten über Konzeptpapiere bis zu Kapiteln der Doktorarbeit. Schließlich gibt es Hinweise auf Aktionen und Veranstaltungen im Umfeld des Containerprojekts sowie auf ähnlich gelagerte künstlerische und wissenschaftliche Projekte.

Alexander Klose / Simon Sparwasser 2005 – zuletzt geändert: 27.08.06